1986 dokumentierte Alois Gaggl, damals Kaplan in Althofen,1 fotografisch die sakralen Kunstdenkmäler Althofens. Das Stadtarchiv Althofen bewahrt seine Sammlung an Bildern, darunter eines, das das 1524 entstandene2 überlebensgroße Christophorusbild an der Außenwand der Friedhofskirche in Untermarkt zeigt.
Quelle: siehe Abschnitt Bilder
Wie kam aber eine Kirche der Heiligen Cäcilia zu einem überlebensgroßen Bildnis des Heiligen Christophorus, und warum wurde dieses an der östlichen Außenwand platziert?
Der Märtyrer Christophorus wurde spätestens seit dem fünften Jahrhundert n. Chr. verehrt, wie eine Inschrift belegt,3 und der historische Christophorus mag der Christenverfolgung unter Kaiser Decius (249 – 251 n. Chr.) zum Opfer gefallen sein, wie aus meiner Sicht seine Legende nahelegt.4
Nach der frühesten Lebensbeschreibung des Heiligen, fassbar in einer Handschrift aus dem Ende des achten Jahrhunderts,5 war Christophorus „groß“ und hatte „den Körper eines Menschen, aber den Kopf eines Hundes“.6 Diese Beschreibung passt nun aber gar nicht zu dem Bild an der Untermarkter Kirche, die einen sehr großen Mann mit Stock, ein Kind auf den Schulten tragend und in einem Fluss stehend darstellt.
Es war Walther von Speyer um das Jahr 983, der nach Beckmann wohl aufgrund eines Übersetzungsfehlers Christophorus erstmals als eine Person aus dem Land Kanaan beschrieb.7 Menschen aus Kanaan galten aber im Mittelalter, wohl der Bibel folgend,8 als „über alle Maßen große, hohe Riesen“,9 wie die Erzählung Herzog Ernst aus dem zwölften Jahrhundert zeigt.10 Dies erklärt aus meiner Sicht, warum sich Christophorus nun vom Hundsköpfigen zum Riesen mit Menschenkopf, eben einem Kanaanäer wandelte.11
Unabhängig von der Legende wurde der Heilige zudem seit etwa der Mitte des zwölften Jahrhunderts n. Chr. als Person, die Christus trägt, dargestellt;12 wohl nur deshalb, weil dies die wörtliche Übersetzung des griechischen Namens Christophoros ist.13 Aber aus dieser Darstellung entwickelte sich nun die Legende des den Jesusknaben über einen Fluss tragenden Christophorus, wie Bittmann darlegte.14 Bildlich fassen lässt sich diese Form der Heiligenerzählung erstmals um die Mitte des 13. Jahrhunderts.15
Ihre endgültige Gestalt bekam die Legende 1273 mit Jacobus de Voragine, dessen Buch die verschiedenen Legenden um Christophorus zusammenführte,16 und das sich fortan nach Hackemann „zur Grundlage der Heiligenkunde“ entwickelte:17
Christophorus galt jetzt als ein Mensch aus „kanaanäischem Geschlecht, [..] von ungeheurerer Statur“. Auf seiner Suche nach Christus sei ihm von einem Eremiten geraten worden, Menschen bei der Überquerung eines reißenden Flusses zu helfen. Eines Tages sei tatsächlich Christus in der Gestalt eines Jungen zu ihm gekommen. Und „Christophorus hob den Jungen also auf seine Schultern, ergriff die Stange zum Abstützen, stieg in den Fluss, und begann ihn zu durchqueren,“ wie de Voragine schrieb.18 Es ist aus meiner Sicht genau diese Szene aus de Voragines Beschreibung, die das Untermarkter Fresko darstellt.
Doch warum wurde das Fresko ebendort angebracht?
Christophorus wurde der Schutzpatron der Reisenden, aus meiner Sicht weil er in der Legende Reisenden helfend bei der Überquerung des reißenden Fluss zur Seite stand.19 Vor allem aber schützte Christophorus vor einem sogenannten „schlimmen Tod“; also einem Tod ohne den Empfang der Sterbesakramente, der den Weg in den Himmel womöglich versperren würde.20 Diesen Schutz belegt ein Holzschnitt von 1423, wo es heißt: „An welchem Tage auch immer du die Gestalt des Christophorus ansiehst, wirst du […] nicht an einem schlimmen Tod zugrunde gehen“.21
Dies ist aus meiner Sicht der Grund, weshalb man 1524 gerade an jener Außenseite der Untermarkter Kirche, die sich Richtung Straße wendet, einen überlebensgroßen Christophorus malte. Denn so konnten Reisende Christophorus sehen und waren für den weiteren Reiseweg, womöglich weitab von Priestern, für einen Tag vor dem schlimmen Tod geschützt. Allerdings waren nun Christophorusbilder in Abständen von Tagesreisen von Nöten, was erklären mag, warum allein in Kärnten noch in über hundert Ortschaften mittelalterliche Fresken von Christophorus an Außenwänden von Kirchen bekannt sind.22
Günther Jannach, Juni 2022
Bilder
Österreichische Nationalbibliothek: Bildarchiv und Grafiksammlung, L 35007-B, http://data.onb.ac.at/rec/baa18828698 = Foto von Ginhart. Das Foto wurde von Ginhart im Jahr 1931 veröffentlicht,23 wobei er anmerkt, die Fotos „in der Hauptsache in den Sommermonaten 1923 bis 1925“ gemacht zu haben,24 weshalb ich es um 1924 datiere.
Stadtarchiv Althofen, Sammlung Gaggl: Christophorusfresko, Althofen 1986.
Stadtarchiv Althofen, Sammlung Jannach: Christophorusfresko, Althofen 2022.
Anmerkungen
1: Gaggl war nach Pfarrchronik Althofen 2011 von 1983 bis 1987 Kaplan in Althofen.
2: Die Datierung am rechten unteren Rand des Freskos ist am Foto von Foto von Ginhart deutlich zu erkennen.
3: Kaufmann 1917, S. 391.
4: In BnF, Cod. gr. 1470, 19r, einer nach Rosenfeld 1937, S. 359, Anm. 1 im Jahr 890 entstandenen Handschrift, wird das Martyrium in die Zeit von Decius datiert.
5: Homiliar des Hl. Burghard, fol. 96r-99v. Diese Handschrift ist nach Rosenfeld 1937, S. 358, Anm. 3 eine von drei „etwa gleichzeitigen Handschriften“. Thurn 1984, S. 19 datierte sie ins letzte Viertel des achten Jahrhundert.
6: Homiliar des Hl. Burghard, fol. 96 v.
7: Das Homiliar des Hl. Burghard, 96r beschreibt Christophorus als „genere Canineorum“, also „aus dem Geschlecht der Hundemenschen stammend“. Nach Beckmann 2017, S. 75 f. deutete Walther von Speyer den Caninus als Chananeus, wodurch Christophorus bei Walther von Speyer nun sowohl hundsköpfig als auch Kanaanäer war.
8: Num. 13, 33.
9: Bartsch 1869, S. 276.
10: Bartsch 1869, S. xxxii.
11: Nach Beckmann 2017, S. 76 war Christophorus nämlich „zeitlich nach Walther […] im lateinischen Bereich nicht mehr Kynokephale [Hundsköpfiger], sondern ‚nur‘ Riese“.
12: Nach Rosenfeld 1937, S. 368 stammen die „frühesten erhaltenen Christusträgerbilder, die sich mit ziemlicher Sicherheit datieren lassen“ aus um 1150.
13: Nach Rosenfeld 1937, S. 297 habe man es „in den älteren Christusträgerdarstellungen mit nichts anderem zu tun als mit einer naheliegenden Wortillustration“. Eine solche liegt beispielsweise wohl auch bei der Heiligen Agnes vor, die im Mittelalter nach Zöckler 1877, S. 210 nur aufgrund der „Namenserklärungen […] fast immer von einem Lamm [lat. agnus] begleitet“ dargestellt wurde.
14: Nach Bittmann 2003, S. 13 könne man von einer „Namenssage oder auch wörtlichen Darstellung des Namens sprechen, die Christophorus als Christusträger in den Mittelpunkt stellt“, und „die Legende [als Christusträger] hat sich aus dem Bild entwickelt“, so Bittmann weiter.
15: Luginbühl-Wirz 2022, S. 50 besprach zwei solcher Darstellungen, wobei die ältere „ein seltenes Beispiel, das in der Zeit gerade noch vor dem Erscheinen der Legenda Aurea“ entstand, sei.
16: Nach Bittmann 2003, S. 13 wurden „die verschiedenen Versionen [...] von Jacobus de Voragine zusammengetragen, gekürzt und kombiniert“.
17: Hackenmann 1880, S. 230.
18: Legenda Aurea, s. v. Christophorus.
19: Auch für Bittmann 2003, S. 69 ist es unter anderem der „der Dienst für die Wanderer am gefährlichen Fluss“, der „Christophorus zum Patron der Reisenden werden“ ließ.
20: Bittmann 2003, S. 20.
21: Fuhrmann 1996, S. 209.
22: Dehio 2001.
23: Ginhart 1931, S. 67.
24: Ginhart 1931, Vorwort.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
BnF, Cod. gr. 1470 = Bibliothèque nationale de France, cod. gr. 1470. In: Usener H. (Hg.): Acta S. Marinae et S. Christophori, Bonn 1896, 56-76.
Foto von Ginhart = Ginhart, K.: Fotografie Karner und Christophorusfresko von 1524 an der Cäcilienkirche. In: Ginhart KK VI/2, 126, veröffentlicht in Ginhart 1931, 67.
Homiliar des Hl. Burghard = Collectio Wirzeburgensis, M.p.th.f.28, Homiliar des Hl. Burghard.
Kaufmann 1917 = Konsekrationsinschrift einer Kirche des Christophorus. In: Kaufmann, C.: Handbuch der altchristlichen Epigraphik, Freiburg 1917, 391-392.
Legenda Aurea = Jacobus de Voragine: Legenda Aurea – Die Heiligenlegenden des Mittelalters. Herausgegeben, neu übersetzt und mit einem ausführlichen Anhang versehen von Matthias Hackenmann, Melle 1890 / Köln 2008.
Literatur
Bartsch 1869 = Bartsch, K.: Einleitung. In: Bartsch, K. (Hg.): Herzog Ernst, Wien 1869.
Beckmann 2017 = Beckmann, G.: Onomastik des Rolandsliedes - Namen als Schlüssel zu Strukturen, Welthaltigkeit und Vorgeschichte des Liedes, Berlin / New York, 2017.
Bittmann 2003 = Bittmann, Y.: Magisterarbeit - Standort und Funktion von Christophorusfiguren im Mittelalter, Heidelberg 2003.
Dehio 2001 = Bacher, E. et al.: Dehio – Handbuch Kärnten, Wien 2001.
Fuhrmann 1996 = Fuhrmann, H.: Überall ist Mittelalter - Von der Gegenwart einer vergangenen Zeit, München 1996.
Ginhart 1931 = Ginhart, K.: Die Kunstdenkmäler des politischen Bezirkes St. Veit - Gerichtsbezirke St. Veit, Althofen u. Eberstein, Klagenfurt 1931.
Hackenmann 1880 = Hackenmann, M.: Nachwort. In: Legenda Aurea, 230-231.
Luginbühl-Wirz 2022 = Luginbühl-Wirz, R.: Dissertation - Die spätgotischen Reliquienstatuetten des heiligen Christophorus, Zürich 2022.
Mussafia 1893 = Mussafia, A.: Zur Christophlegende = Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften IX, Wien 1893.
Pfarrchronik Althofen 2011 = Seite "Pfarrchronik Althofen". In: Katholische Kirche Kärntens (kath-kirche-kaernten.at), URL: https://www.kath-kirche-kaernten.at/pfarren/detail/C3100/pfarrchronik, abgerufen 2022.
Rosenfeld 1937 = Rosenfeld, H.: Der Hl. Christophorus - Seine Verehrung und seine Legende. Eine Untersuchung zur Kultgeographie und Legendenbildung des Mittelalters, Leipzig 1937.
Thurn 1984 = Thurn, H.: Die Pergamenthandschriften der ehemaligen Dombibliothek, Wiesbaden 1984.
Zöckler 1877 = Zöckler, O.: Agnes. In: Real-Enzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Leipzig 1877, 209-211.